Antibiotische Materiewellen

07.04.2020

Die Forschungsgruppe um Markus Arndt an der Universität Wien entwickelt ausgeklügelte Methoden, um komplexe Moleküle in Bewegung zu setzen, zu beugen, zur Interferenz zu bringen und nachzuweisen.

Einer der zentralen Grundsätze der Quantenmechanik ist der Welle-Teilchen-Dualismus. Er besagt, dass sich selbst massive Objekte sowohl wie Teilchen als auch wie Wellen verhalten. Eine Reihe früherer Experimente haben dies für Elektronen, Neutronen, Atome und sogar große Moleküle gezeigt. Die Quantentheorie behauptet, dass dies eine universelle Eigenschaft der Materie sei. Es ist jedoch bekanntlich schwierig, diese Forschung auf komplexe biomolekulare Systeme zu erweitern. Neue Experimente an der Universität Wien, unterstützt durch quantenchemische Modellierung an der Stanford University, zeigen nun zum ersten Mal die Quantenwellennatur eines komplexen antibiotischen Polypeptids, hier Gramicidin, veröffentlicht in Nature Communications.

 

Quanteninterferenz mit Bausteinen des Lebens

Der Welle-Teilchen-Dualismus ist ein allgegenwärtiges Phänomen in der Quantenphysik, und obwohl er seit fast einem Jahrhundert bekannt ist, verdutzt er uns immer noch, wenn wir ihn in komplexer Materie realisiert sehen: Wie kann ein Objekt wellenförmig delokalisiert werden? Wenn die Quantenphysik eine universelle Theorie ist: Wie komplex kann ein Objekt sein, um dieses kontraintuitive Verhalten noch zu beobachten? Gilt sie noch für größere Materieklumpen oder gar für die Bausteine des Lebens, wie zum Beispiel Peptide und Proteine?

Die Forschungsgruppe um Markus Arndt an der Universität Wien entwickelt ausgeklügelte Methoden, um komplexe Moleküle in Bewegung zu setzen, zu beugen, zur Interferenz zu bringen und nachzuweisen. Das Testen der Quantenphysik mit langen Aminosäureketten blieb jedoch bisher unerreicht. Sie mussten vielerlei Herausforderungen überwinden wie beispielsweise ausreichend intensive Strahlen der Biopolymere zu erzeugen, diese im Hochvakuum von jeder störenden Umgebung zu isolieren und kohärente Werkzeuge zur Untersuchung ihrer Quantennatur zu etablieren.

In der neuen Arbeit, die in Nature Communications veröffentlicht wurde, zeigen Armin Shayeghi und seine Kollegen zum ersten Mal die Quanteninterferenz des natürlichen Polypeptids Gramicidin, eines Antibiotikums aus 15 kovalent gebundenen Aminosäuren. Ein Schlüssel zu diesem Erfolg war die Verwendung von ultraschnellem und intensivem Laserlicht zur Desorption der Peptide, bevor sich diese zersetzen konnten, sowie die Materiewelleninterferometrie, die Beugungselemente auf der Grundlage von Quantenmessungen ausnutzte. Ihre Techniken sollen den Weg zu noch komplexeren biologischen Nanomaterialien von Proteinen bis zur DNA ebnen. Diese Forschung wird von dem grundlegenden Interesse angetrieben, die Grenzen der Quantenphysik auszuloten und neue, durch Quantenphysik verbesserte Technologien als minimal invasive Analysewerkzeuge für einzelne, in der Gasphase isolierte Biomoleküle zu etablieren.

Experimenteller Ansatz

Nur einige Femtosekunden kurze, ultraviolette Laserpulse schlagen die zerbrechlichen Moleküle aus einer Oberfläche heraus. Die Teilchen werden in einem Strahl kalter Argon-Atome mitgerissen. Bei Geschwindigkeiten von bis zu 600 m/s haben die Gramicidin-Moleküle eine winzige Wellenlänge von nur 350 Femtometern, etwa ein Zehntausendstel des Durchmessers der Biomoleküle selbst. Shayeghi und seine Kollegen verwendeten eine äußerst empfindliche Technik, die als Time-Domain-Talbot-Lau-Interferometrie bekannt ist, um ihre Quanteninterferenzstreifenmuster zu messen und fanden heraus, dass die molekulare Kohärenz über die mehr als 20-fache Größe der Moleküle delokalisiert ist, was nur durch die Quantenmechanik erklärt werden kann. Diese Schlussfolgerung wurde durch zusätzliche quantenchemische Berechnungen auf höchstem Niveau in Zusammenarbeit mit Todd J. Martinez von der Stanford University bestätigt, die die elektronische Struktur und jene Eigenschaften vorhersagen, die in Phasenraum-Simulationen einfließen, um den Interferenzprozess zu modellieren.

"Unsere neue Technik wird detaillierte Studien der Quanteneigenschaften von Biomolekülen ermöglichen und den Weg für eine neue Art der optischen Spektroskopie von biologisch relevanten Molekülen ebnen", sagt Shayeghi.